Die minoische Katastrophe, Teil II: Kalliste

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Margarita

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Die minoische Katastrophe, Teil II: Kalliste

von Margarita am 01.12.2010 14:10

Quelle:
Neue Zürcher Zeitung FORSCHUNG UND TECHNIK Mittwoch, 26.04.2000 Nr.97 77

Die minoische Katastrophe - ein Vulkan verändert die Welt
Einbruch von verheerenden Naturgewalten in eine harmonische Kultur
Von Volker J. Dietrich*


Kalliste - Kultur- und Handelszentrum

Am zentralen Südrand der Kykladen liegt die Vulkaninsel Santorin. Die Hauptinsel Thera, die Nachbarinsel Therasia und das Inselchen Aspronisi bilden einen Ring um einen etwa 5 mal 10 Kilometer großen und bis zu 400 Meter tiefen, vom Meer gefüllten Einsturzkrater, der nach der letzten großen Eruption gebildet wurde. Santorin kann heute als aktiver Vulkan im momentanen Ruhezustand bezeichnet werden.
Vor der großen minoischen Eruption sah die Insel ganz anders aus. Sie war eine blühende, mit üppiger Vegetation bedeckte Ringinsel, die ähnlich wie heute einen Calderakrater und einen zentralen Schildvulkan mit heißen Quellen umschloss. Die Caldera war jedoch nur durch eine Meerenge im Südwesten zugänglich und von sehr geringer Tiefe. Der Krater dürfte vielen Schiffen Schutz geboten und einen idealen Umschlagplatz dargestellt haben. Santorin wurde damals Kalliste, die schönste aller Kykladeninseln, genannt. Der Handel brachte ihr Reichtum und Ansehen. Zeugen davon sind die einzigartigen Fresken in den Häusern der Stadt Akrotiri auf Thera, auf denen die Bewohner und ihre Lebensgewohnheiten dargestellt werden. Nur in einem Handelszentrum mit regem Kulturaustausch konnte ein derartiges Kunstschaffen entstehen.
Die besondere Lage der Kykladen, des Dodekanes und Kretas ließ nicht nur eine unabhängige Seefahrer- und Händlerkultur entstehen, sondern auch eine eigenständige Religion. Diese der natürlichen Harmonie und dem Schönen zugewandte Religion kannte keine dominanten Götter und musste weder mit Repressalien einen Glauben erzwingen noch mit der Todesangst operieren. Sie kannte auch keine Dämonen und bösen Geister. Vielmehr bildete sich ein matriarchalisches System, in dem junge und hübsche fruchtbare Göttinnen, umgeben von jungen Kriegern und Jägern, Mittelpunkt der Bewunderung und des Glaubens waren. Schon in präkykladischer Zeit symbolisierten fruchtbare weibliche Marmor-Idole als Grabbeigaben die Reinkarnation, die Frau als Spenderin neuen Lebens. Einen Totenkult wie in Ägypten scheint es nicht gegeben zu haben. Auch größere Tempelanlagen und monumentale Paläste fehlen auf den Kykladen und auf Kreta. Das religiöse System baute auf einer komplexen Hierarchie auf und wurde wahrscheinlich von Priestern, Aristokraten und Admiralen regiert. Die Fresken von Akrotiri zeigen eindrucksvoll den Lebensstil der Bewohner: Anmutige junge Frauen in farbigen Gewändern, Musik genießende und Sport treibende Jünglinge, exotische Pflanzen und Tiere sowie erlesene Speisen zeugen vom beschwingten Lebensstil auf Kalliste.
Diese harmonische Kultur sollte schon bald zu Ende gehen, und es war die Natur selbst, die ihren Untergang herbeiführte. Erste Anzeichen der nahenden Vulkankatastrophe stellten sich allmählich ein. Im Zentrum der Ringinsel Kalliste traten übel riechende Gase aus, das Wasser wurde siedend heiß, und Erdbeben erschütterten die Insel. Niemand, auch nicht weit gereiste Seefahrer, kannten Vulkanausbrüche: der letzte Vulkanausbruch in der Ägäis lag mehr als 15 000 Jahre zurück, und Feuer und Asche speiende Vulkane gab es erst in mehr als 1500 km Entfernung im östlichen Teil Kleinasiens (Hassan Dag), auf Sizilien und in den Phlegräischen Feldern bei Neapel. Die Vorkommnisse auf Kalliste müssen den Bewohnern unerklärbar gewesen und als Zeichen erzürnter Gottheiten angesehen worden sein.
Während Monaten muss es auf Kalliste Gas- und Wasserexplosionen sowie Erdbeben gegeben haben. Als die Lebensbedingungen untragbar wurden, verließen die Bewohner die Insel, ein Exodus, der offenbar nicht überstürzt ablief, da weder wertvolle Gegenstände noch Mobiliar zurückgelassen wurden. Gras auf den Dächern der zerstörten Gebäude deutet darauf hin, dass zwischen der Evakuierung und der Vulkaneruption mindestens eine Regenzeit gelegen haben muss.
Die minoische Vulkankatastrophe bahnte sich also über Monate bis Jahre an. Der eigentliche Ausbruch wird heute in vier Phasen unterteilt, während deren rund 40 km3 Magma eruptierten. Das ist rund vierzigmal soviel, wie beim Ausbruch des Mount Saint Helens im Jahre 1980 ausgestoßen wurde. Der eigentliche Ausbruch des Santorins begann mit wasserdampfreichen Eruptionen im Zentrum der Caldera. Etwa 1 km3 Bimse und Aschen wurden bis in 40 km Höhe geschleudert; der Himmel verdunkelte sich während Stunden, und eine mehrere Dezimeter mächtige Aschenschicht lagerte sich auf der Ringinsel ab.
Nach einer Ruhepause von Tagen bis Wochen begann die zweite, wesentlich stärkere Phase. Explosive, so genannte phreatomagmatische Eruptionen führten zu Aschen-, Lapilli- und Bombenregen und Glutwolkenströmen, die sich ins Meer ergossen. In der mächtigen Aschensäule entstanden gewaltige Gewitter, und orkanartige Stürme verfrachteten die Aschen weit über das östliche Mittelmeer: Bimsaschen dieser Phase wurden in Kleinasien, Syrien, Israel und im Nildelta nachgewiesen. Die dritte Phase ist durch zahlreiche Explosionen gekennzeichnet. Der Krater erreichte nun die Ausmaße der heutigen Caldera. Weit versprengte Bruchstücke des früheren Zentralvulkans zeugen von der Heftigkeit der Explosionen. Auch die vierte Phase ist durch pyroklastische Ströme, Glutwolken und bis in die Stratosphäre reichende Aschensäulen gekennzeichnet. Wahrscheinlich gab es während der dritten und vierten Phase größere submarine Rutschungen, die Riesenwellen, Tsunamis genannt, auslösten.

Ich hab die Haare schön, ich hab die Haare schön

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